Phoenix-Werke in Hamburg-Harburg

Inspiriert von einem Zeitungsartikel in den Harburger Anzeigen und Nachrichten suchte ich mir die Phoenix-Werke als interessante Foto-Location. Die traditionsreichen, 2004 von der Continental AG feindlich übernommenen Phoenix Gummiwerke AG verfügen auf ihrem Werksgelände in Hamburg-Harburg über teilweise leer stehende Gebäude (ehemalige Produktionshallen). Die Genehmigung zum Fotografieren hat mir der Standortmanager freundlicherweise erteilt. So konnte ich am Montag, 5.3.2012, fast zwei Stunden lang Aufnahmen machen. Begleitet von einem Phoenix-Mitarbeiter war ich in stillgelegten Werkshallen, auf dem Dach eines Gebäudes und in der - freilich noch genutzten – Werkskantine. Es sind einige schöne Bilder entstanden, die ich mit HDR-Technik entwickelt habe.



Opel-Altwerk in Rüsselsheim

Die historischen Bauten des Opel-Altwerks in Rüsselsheim waren Ziel eines Fotoausflugs am 31.3.2012 mit einigen Mitgliedern des Fotoclubs Bad Homburg. In dem rund 100 Jahre alten denkmalgeschützten Komplex wurden einst Autos gebaut. Seit einigen Jahren steht das Altwerk zum großen Teil leer, nachdem die krisengeschüttelte Firma Opel viele Stellen abgebaut und Teile der Produktion ausgelagert hat. 2007 hat Opel rund 100.000 Quadratmeter des Altwerks an private Investoren veräußert, die planen, dort ein Einkaufszentrum (mit Automuseum) zu errichten. Gegen den projektierten Abriss von ca. 80% der historischen Bausubstanz hat sich bereits eine Bürgerinitiative gegründet, die das Opelwerk als industriearchitektonisches Ensemble als Ganzes bewahren will. Momentan stehen die Gebäude noch und versprühen in ihrem leer geräumten, leicht herunter gekommenen, vom Zahn der Zeit angegriffenen Zustand einen anziehend-morbiden Charme...


Expo2000 in Hannover
Der niederländische Pavillon

Über zwanzig Jahre ist es nun schon her, dass die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover zur Weltausstellung Expo2000 einlud. Während einige Pavillons für eine Nachnutzung umgerüstet wurden, wurden andere abgerissen bzw. stehen seit der Weltausstellung leer und verfallen zusehends. Der 42 Meter hohe Pavillon der Niederlande mit den „gestapelten Landschaften”, seinerzeit ein Publikumsmagnet und Highlight der Expo, gehört zu letzterer Gruppe. Der Pavillon befindet sich in einem verwahrlosten und von Vandalismus heimgesuchten Zustand. Eine Nachnutzung ist wegen der offenen Bauweise schwierig, doch im Januar 2011 wurde bekannt, dass ein Investor einen Umbau zu einem Veranstaltungszentrum plant.

Ich war anlässlich des Fotovestivals LUMIX, das alljährlich auf dem Expo-Gelände statt findet, vor Ort, und konnte natürlich nicht widerstehen, dem verfallenen niederländischen Pavillon mit meiner Kamera einen Besuch abzustatten. Es musste nur ein Durchschlupf im Absperrzaun gefunden werden; das daraus resultierende schlechte Gewissen wurde sogleich beruhigt, als ich sah, dass dutzende andere Fotografen unter den Festivalbesuchern zur gleichen Zeit die gleiche

Idee hatten. Das Gebäude strahlt eine irgendwie faszinierende, surreale Anmutung aus, wie das Setdesign eines Endzeitfilms: Lief man gerade noch durch eine gewölbe- oder grottenartige Umgebung, findet man sich eine paar Ebenen darüber unvermittelt in einer skurrilen Waldlandschaft; das Ganze ist mit schwindelerregenden Freitreppen eingerahmt, bei denen jeder Schritt von dem Hoffen begleitet wird, dass sie noch ein Weilchen halten...


Oberforsthaus Frankfurt

Am Stadtrand von Frankfurt steht, halb verfallen und umbraust von mehrspurigen Schnellstraßen zum Flughafen und zur Autobahn, das denkmalgeschützte Oberforsthaus - genauer gesagt, was von ihm noch übrig ist: der Pferdestall. Durch einen unansehnlichen Bauzaun notdürftig gesichert, dämmern die Stallungen, zugewachsen und überwuchert, vor sich hin und blicken einer unsicheren Zukunft entgegen. Der schon vor 25 Jahren gefasste Plan eines Investors, auf dem Areal ein großes Hotel zu errichten und dabei die Reste des Oberforsthauses baulich zu integrieren, scheiterte aus finanziellen Gründen. Im Januar 2012 hat die Stadt Frankfurt das Grundstück und das Gebäude für 700000 Euro bei einer Zwangsversteigerung erworben. Nun wird darüber gestritten, mit welchem Konzept die Reste des Oberforsthauses gerettet werden können - der Plan eines Hotels ist dabei weiterhin genauso im Rennen wie die Einrichtung einer Ausflugsstätte mit Restaurant, grenzt das Areal doch an den Stadtwald.

Das Oberforsthaus hat eine bewegte Geschichte hinter sich: 1729 als Dienstsitz des Frankfurter Forstmeisters Baur von Eysseneck errichtet, wurde es als Försterei bis 1839 genutzt. Seine schöne Lage im Grünen an der zentralen Ausfallstraße nach Mainz machte es zu einem gern besuchten Ort für Rast und Einkehr: 1790 stattete Kaiser Leopold II. dem Anwesen einen Besuch ab, 1814 ließ sich (der in Frankfurt obligatorische) Goethe dort blicken, 1829 feierte er dort sogar seinen 80. Geburtstag. Als nach 1839 eine Gaststätte in dem Gebäude öffnete, mauserte sich das Oberforsthaus zu einem beliebten Ausflugsziel auch der einfachen Frankfurter. 1944 wurde das Gebäude bei einem Bombenangriff schwer zerstört und in den 60er Jahren bis auf den Pferdestall abgerissen.

Als Ziel für sonntägliche Familienausflüge mag das Gebäude seine Bedeutung verloren haben, für alle Liebhaber des Verfallenen, Morbiden, das in einer modernen durchgestylten Großstadt immer seltener anzutreffen ist, hat dieser "lost place" seinen Charme behalten...


Bundeswehr-Schießstand

Die Bundeswehr hat sich im Verlauf ihrer Geschichte immer wieder veränderten Bedingungen angepasst. Während des Kalten Krieges war sie vor allem eine Heimatverteidigungstruppe, gegen das Bedrohungspotenzial des Warschauer Pakts gerichtet. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks befindet sie sich in einem andauernden Transformationsprozess, der von verschiedenen Reformen begleitet wird, und dessen Ziel die Gewährleistung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr in einem sich rasch verändernden Umfeld ist. Dazu zählen vor allem die Auslandseinsätze mit dem Ziel der Krisenintervention bzw. Krisenstabilisierung (Stichwort „Kampf gegen den Terror” und andere asymmetrisch organisierte Gegner sowie Nation Building).

Diese Transformation äußert sich sichtbar und für die eine oder andere Region auch schmerzhaft spürbar insbesondere in der Schließung von Standorten. Diese stillgelegten Standorte (Kasernen, Truppenübungsplätze, Magazine) werden manchmal in Wohn- oder Gewerbegebiete umgewandelt, als Erholungsstätten oder Naturschutzgebiete renaturiert - oder sie fallen für mehr oder weniger lange Zeit dem Verfall anheim, dämmern vor sich hin, auf eine neue Verwendung wartend...

Die unten gezeigten Fotos stammen von einem Schießstand eines aufgegeben Standorts in der Nähe von Hamburg. Er wird schon seit einigen Jahren nicht mehr benutzt und zeigt bereits deutliche Spuren von Verfall und Verwilderung. Er diente der Ausübung von Schießübungen mit Sturmgewehren. Der Schießstand besteht aus mehreren nebeneinander liegen, durchnummerierten Schießbahnen mit hintereinander gestaffelten Querverstrebungen, die die Schießscheiben in verschiedenen Entfernungen bereitstellen konnten.


Bankierssitz, Klinik, Filmkulisse -
Die Villa Wertheimber in Bad Homburg

Anfang November 2012 unternahm ich eine sehr spannende Fototour zur leer stehenden Villa Wertheimber, in deren Räumlichkeiten ich mit freundlicher Genehmigung der Stadtverwaltung Bad Homburg eine Reihe schöner Aufnahmen für meine Lost-Places-Serie machen konnte. Wobei sich dieser Ort einmal nicht heruntergekommen, verfallen oder morbide präsentierte, sondern einfach nur verlassen, ausgeräumt und leer.

Die Villa liegt im Gustavsgarten, einem Areal, das der Landgraf Friedrich VI. Joseph von Hessen-Homburg im Jahr 1822 seinem jüngeren Bruder Gustav schenkte, der dort einen Park im Stil eines englischen Landschaftsgartens anlegen ließ. Er vererbte diesen Park an seine Tochter, die ihn 1898 an den Frankfurter Bankier Wertheimber verkaufte. Wertheimber hat um 1900 in dem Park eine schlossartige, prächtige Villa im italienischen Landhausstil als Sommerresidenz bauen lassen. In der NS-Zeit fiel sie (ob enteignet oder regulär verkauft, scheint nicht ganz klar zu sein) an das Deutsche Reich und wurde von der Marinemusikschule genutzt.

Villa Wertheimber - Grundriss

Nach Kriegsende wurde in der Villa vom Frankfurter "Verein Hirnverletztenheim" ein Zentrum für die Rehabilitation von Hirnverletzten und Schlaganfallpatienten eingerichtet, das zwischen 1970 und 1980 moderne, funktionale Anbauten erhielt und in "Neurologische Klinik Bad Homburg" umbenannt wurde. Die Villa selbst wurde in jener Zeit für die Verwaltung der angrenzenden Klinik und als repräsentatives Empfangsgebäude genutzt. Als der Trägerverein aufgrund rückläufiger Belegung der Betten durch die Krankenkassen in finanzielle Schwierigkeiten geriet, wurde die Klinik Ende 2003 geschlossen. Seitdem lagen die 1988 unter Denkmalschutz gestellten Parkflächen und die Villa viele Jahre brach. Erst im März 2011 hat die Stadt Bad Homburg nach zähen Verhandlungen das Areal für 7,2 Millionen Euro erworben. Die Neubauten der ehemaligen Neurologischen Klinik werden zur Zeit abgerissen, bereits im Mai 2012 ist der Gustavsgarten als öffentlicher Park für Besucher wieder geöffnet worden. In die Villa soll nach dem Willen des Magistrats nach erfolgter Sanierung im Laufe des Jahres 2017 Stadtarchiv einziehen: Der Lesesaal für Archivnutzer soll in das erste Obergeschoss kommen, die repräsentativen Räume im Erdgeschoss sollen für Veranstaltungen genutzt und vermietet werden.

Ein kurzes Zwischenspiel, quasi eine temporäre Wiederbelebung, erlebte die Villa im Jahr 2008/09, als sie über 200 Drehtage lang für die ARD-Serie Geld.Macht.Liebe genutzt wurde. Die Villa fungierte in der Serie - eine Art deutsches "Dallas" - als Sitz der fiktiven Bankiersfamilie von Rheinberg. Für die Dreharbeiten wurde die Villa wieder ordentlich in Schuss gebracht, mit historischen Möbeln, edlen Leuchtern und anderen Requisiten ausgestattet. Die Serie lief 2009, wurde nach der ersten Staffel aufgrund schlechter Quoten aber wieder eingestellt.

In diesem renovierten, aber verlassenen Zustand traf ich die Räumlichkeiten an, als ich die Villa für die unten gezeigten Fotoaufnahmen betrat. Ich habe teilweise extreme (Weitwinkel-)Perspektiven gewählt und für die Bearbeitung die Farben leicht entsättigt, um dem Thema "leerstehende Villa" mit den Konnotationen "Leere", "Kälte", "Einsamkeit", "Verlassenheit", "unheimliche Atmosphäre" etc. gerecht zu werden. Bei einigen der Motive, z.B. Treppenhaus oder Flure, sind mir spontan auch Szenen aus Hitchcock-Filmen in den Sinn gekommen...


Morbides sozialistisches Arkadien:
FDJ-Jugendhochschule "Wilhelm Pieck"

Ein Fotoausflug mit dem Veranstalter go2know in Sachen "Lost Places" führte im Mai 2013 an den Bogensee. Hier, irgendwo im nirgendwo, 15 Kilometer nördlich der Berliner Stadtgrenze, liegt auf einem gigantischen Areal die ehemalige FDJ-Jugendhochschule "Wilhelm Pieck". In der einstigen Kaderschmiede wurden ab den 1950er Jahren jährlich rund 500 junge Frauen und Männer aus der DDR und sozialistischen "Bruderstaaten" in politischen Fächern wie "Wissenschaftlicher Kommunismus" oder "Dialektischer Materialismus" unterrichtet.

FDJ-Hochschule Bogensee

Das Gelände - 1936 wurde hier ein idyllisch gelegener Landsitz für NS-Propagandaminister Joseph Goebbels errichtet wurde (vor allem als "Liebesnest" für den Empfang attraktiver Schauspielerinnen genutzt) - wurde 1946 von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) an die Freie Deutsche Jugend (FDJ) übergeben. Die unterhielt dort, anfangs noch in bescheidenen Verhältnissen, ihre Zentralschule. 1951 wurde der Grundstein für die heutige Anlage gelegt: Im Stil des "Sozialistischen Klassizismus" errichtete man unter der Ägide des Berliner Stalinallee-Architekten Hermann Henselmann ein protziges, prunkvolles Gebäudeensemble. Staatschef Walter Ulbricht verlangte explizit ein "Denkmal des Sozialismus", gleichsam ein sozialistisches Arkadien.

Die Anlage besteht aus vier Bettenhäusern an den Längsseiten, in Nord-Süd-Richtung stehen sich, durch eine Parkanlage getrennt, zwei Monumentalgebäude gegenüber: Im Süden steht das wie ein klassizistischer Tempel anmutende Kulturhaus mit säulengefasstem Mehrzwecksaal sowie mehreren Club- und Speiseräumen, im Norden liegt auf einem Hügel das barockschlossartige Lektionsgebäude mit Seminar- und Verwaltungsräumen. Im Tagungssaal des Lektionsgebäudes (560 Sitzplätze) war die zweitgrößte Simultananlage der DDR mit 18 Fremdsprachenkabinen untergebracht. (In Goebbels’ Landhaus - einmal mehr eine absurde Ironie deutscher Geschichte - wurde übrigens ein Kindergarten, eine "Konsum"-Filiale sowie ein Friseur untergebracht.)

Nach dem Fall der Mauer ging das Gelände an die Stadt Berlin, die es durch seinen Liegenschaftsfonds verwaltet. Ab 1991 wurde das Areal vom gemeinnützigen "Internationalen Bund für Sozialarbeit" genutzt, der dort eine unpolitische Aus- und Weiterbildungsstätte für sozial benachteiligte Jugendliche betrieb. Als das Unterfangen v.a. wegen hoher Energiekosten nicht mehr tragbar war, verließ die Organisation 1999 die Gebäude, die seither leer und unter Denkmalschutz stehen. Seitdem versucht der Liegenschaftsfonds vergeblich, für die Immobilien einen Käufer mit einem tragfähigen Nutzungskonzept zu finden. An Ideen dafür mangelt es nicht: Über ein Wellnesshotel, eine Rehaklinik oder Jugendhilfe-Einrichtung bis zur Unternehmensrepräsentanz wurde schon sinniert, doch insbesondere durch die abseitige Lage mit kaum vorhandener Infrastruktur hat sich bis dato alles zerschlagen.

So erobert sich einstweilen die Natur das Gelände zurück. Die Gebäude sind dem langsamen Verfall preisgegeben, es schimmelt und rostet vor sich hin, verstaubt und verblasst. Der "Charme des Morbiden" hat sich auch über diesen Ort gelegt, und wie für die meisten "Lost Places", gilt auch hier: So tragisch der Verfall der Bausubstanz anmutet, so entsteht doch auch ein Eldorado für Fotografen und Filmschaffende. Die Geschichtsträchtigkeit des Areals sorgt dabei für einen zusätzlichen Reiz - oder wie in einem Bildband über Bogensee zu lesen ist: "Über dem schweigenden Ort liegt eine morbide Faszination, die Spannung der Ideologien zweier Diktaturen ist heute fast noch zu spüren."


Der Berliner Flughafen Tempelhof

Drei Tage vor Weihnachten 2012 unternahm ich eine vom Veranstalter go2know angebotene Fototour zum leer stehenden Flughafen Tempelhof in Berlin, die zu den beeindruckendsten und spannendsten des zu Ende gehenden Jahres zählt! Der legendäre Flughafen hat wie kaum ein Bauwerk in Berlin so viele Schicksale über mehrere Jahrzehnte beeinflusst - er ist ein Symbol für den Aufstieg der Fliegerei in Deutschland, für das Streben nach Freiheit und den Widerstand gegen Unterdrückung und Totalitarismus, aber auch ein Symbol für den Machtwillen und die unmenschliche Gigantomanie des "Dritten Reiches", für Krieg, Hybris und Zerstörung. Der eine oder andere Reichsadler ziert noch die Fassade. Ambivalent, wie so vieles in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts...

1934 gaben Hitler und Reichsluftfahrtminister Göring einen vollständigen Neubau des für die Abwicklung des Luftverkehrs inzwischen zu klein gewordenen Flughafens Tempelhof aus den 1920er Jahren in Auftrag. Er wurde durch den Architekten Ernst Sagebiel als neoklassizistischer Monumentalbau ausgeführt. Der Bau entsprach einerseits den Ansprüchen der Nationalsozialisten ans Monumentale und sollte den Weltgeltungsanspruch des "Dritten Reichs" auch im Luftverkehr verdeutlichen, andererseits wurden hier zum ersten Mal alle Anforderungen eines modernen Großflughafens in einer beispielhaften und zukunftsweisenden Ausführung unter einem Dach realisiert, so dass der britische Architekt Norman Foster Tempelhof einmal als "Mutter aller modernen Flughäfen" titulierte.

"Sagebiels Entwurf für den neuen Flughafen, der durch seinen Vorbau an das kreisrunde Platzensemble im Süden der von Albert Speer geplanten Nord-Süd-Achse angeschlossen werden sollte, verbindet die Ästhetik einer Kreuzritterburg mit den Erfordernissen eines modernen Verwaltungsbaus: Wehrtürme, Fenster im Schiessscharten-Design, Säulengrüfte aus einem Nibelungenfilm - und zugleich der Triumph des Stahls, der mit seinen Trägern mühelos das gewaltige Dach in den Raum hinaushebt, als bedürfte es nur einer letzten Anstrengung, und der Flughafen selbst begänne zu fliegen." (Andreas Kilb, F.A.Z. vom 1.11.2008)


Diagnose: unrentabel, Therapie: Abriss
Die Neurologische Klinik in Bad Homburg

Als ich Anfang November 2012 in den Räumlichkeiten der Villa Wertheimber im Bad Homburger Gustavsgarten fotografierte, nutzte ich die Gelegenheit, auch die neben der Villa liegenden modernen Klinikanbauten fotografisch zu erkunden. Die Villa Wertheimber, um 1900 von einem Frankfurter Bankier als prächtige Sommerresidenz errichtet, wurde von der Klinik als Verwaltungs- und Empfangsgebäude genutzt. Ein Verbindungsgang führt von der Villa zu den modernen Klinikanbauten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm der 1927 gegründete Frankfurter "Verein Hirnverletztenheim" das Gelände im Gustavsgarten samt Villa, und richtete dort ein Zentrum für die Rehabilitation von Hirnverletzten und Schlaganfallpatienten ein. Anfangs wurde nur die Villa genutzt, in den 70er und 80er Jahren errichtete der Verein die dreigeschossigen Neubauten. Die Institution firmierte nun unter dem Namen "Neurologische Klinik Bad Homburg". Mit der Zeit geriet der Verein in finanzielle Schwierigkeiten, weil die zuletzt 112 Betten (87 Akut- und 25 Rehabilitationsbetten) wegen Budgetkürzungen immer weniger von den Krankenkassen belegt wurden. Anfang 2002 übernahm die Wittgensteiner Kliniken AG (WKA) die Neurologische Klinik. Sie hat dafür keinen Kaufpreis entrichtet, sondern die Schulden des Vereins, der danach aufgelöst wurde, übernommen. Als auch die Krankenhaus-Gesellschaft keine Möglichkeit für einen wirtschaftlichen Betrieb mehr sah, legte man die Klink Ende 2003 still. 2005 übergab die WKA das Gelände an das Bundesvermögensamt, im März 2011 hat die Stadt Bad Homburg den Park und die Gebäude für 7,2 Millionen Euro gekauft.

Neun Jahre lag die Klinik also brach, als ich sie für die Fototour betrat. Zwar nagte der Zahn der Zeit an manchen Stellen schon sichtlich, aber überwiegend war das Gebäude noch erstaunlich gut in Schuss, die meisten Räume machten den Eindruck, als wären sie soeben erst verlassen worden. Bloß im Erdgeschoss lag aus irgendwelchen Gründen eine milimeterdicke weiße Staubschicht, wie frisch gefallener Schnee, in dem sich die Fußabdrücke der Besucher und Eindringlinge abzeichneten. Auf meiner Tour begegneten mir Krankenzimmer, Flure, Treppenhäuser, eine Sporthalle, das Schwimmbecken und ein Kellergeschoss mit Massagebädern. Das gesamte Inventar war praktisch entfernt - bis auf ein einziges Krankenbett in einem der Zimmer.

Eine unheimliche Atmosphäre breitete sich in den Räumlichkeiten, Fluren und Gängen aus. Freilich sind Krankenhäuser für die Mehrzahl der Menschen sowieso nicht gerade anheimelnde Orte, aber derart leer, verlassen und schummrig wirkt doch alles noch bedrückender. Dazu dieser penetrante Geruch allerorten, so als ob der charakteristisch-stechende Krankenhausduft aus Putz- und Sterilisierungsmitteln langsam vom typischen Muff leerstehender Gebäude überlagert wird... Nach eineinhalb Stunden war ich doch wieder froh, an die frische Luft gehen zu können - mit einer Menge spannender Fotos im Kasten.

Update: Der Klinikbau wurden inzwischen abgerissen. Die Villa Wertheimber wurde restauriert; in ihr zog im Laufe des Jahres 2017 das Bad Homburger Stadtarchiv ein.


Der Spreepark im Plänterwald
Berlins Dornröschen

Mitten in Berlin, im Ostteil der Stadt im Plänterwald unweit der Spree, liegt ein verlassener Freizeitpark im Dornröschenschlaf. Der "Spreepark" war einst der größte Vergnügungspark der DDR, ging nach der Privatisierung in die Insolvenz und wartet seitdem auf seine neue Bestimmung. Eine große innerstädtische Brachfläche, unwirklich, verwunschen – das große Faszinosum: ein Vergnügungspark ohne Vergnügungen.

Der "VEB Kulturpark Plänterwald", das einstige "Disneyland des Sozialismus", wurde nach der Wende privatisiert. Die berüchtigte Schaustellerfamilie Witte aus Hamburg übernahm den Park, baute alles um, wollte ganz groß rauskommen – und ging in Konkurs. Nachdem die Familie den Park fluchtartig verlassen hatte – der Traum vom Aufbau einer neuen Existenz in Südamerika, der auf dem Nacht-und-Nebel-Klau vieler der Spreepark-Fahrgeschäfte mit anschließender Verschiffung nach Peru gründete, endete in einem finanziellen und persönlichen Desaster – liegt das knapp 30 Hektar große Gelände brach…

Ein irreal anmutender, zweckfreier Nicht-Ort inmitten der quirligen Großstadt Berlin, den sich die Natur langsam zurückerobert. Pflanzen überwuchern die skurrilen Reste eines verrottenden Vergnügens; Laub, Moos und Spinnweben bestimmen die Szenerie; Rost, morsches Holz, zersplittertes Glas, wo einst bunte Fahrgeschäfte zum Mitmachen einluden. Schwanenboote stapeln sich im Sand, die weiße Haut von Moos bedeckt; das gigantische Riesenrad quietscht gespenstisch und weithin hörbar in die Stille des Parks hinein, wenn sich der Wind in den Gondeln verfängt; das ausgestorbene Westerndorf eine Geisterstadt; die Fahrrinne der Wildwasserbahn ist von Rost zerfressen; die Tümpel und Seen zu einer schleimig-grünen, algigen und moosigen Brühe mutiert. Und die Plastiksaurier, zähnefletschend, aber wehrlos auf die Seite gekippt, von Souvenirjägern verstümmelt, zeugen vom stolzen Anspruch eines einstigen künstlichen Paradieses.

Dieser Sehnsuchtsort aus Kindertagen ist ein verwunschener Ort, einer jener Märchenorte, an denen der Gegensatz zwischen Einst und Jetzt, zwischen Imagination und Realität greifbar wird. Blinkende Lichter, Frohsinn und Attraktionen, Freudengekreische und Kinderlachen sind gespenstischer Stille, Wildwuchs, Morbidität und Vergänglichkeit gewichen. Der Zauber des Verwunschenen, die vielbeschworene und zu einem modernen Klischee gewordene "Ästhetik des Verfalls" mit der Kamera einzufangen, ist Absicht der vorliegenden Fotoserie.

Die Fotoserie entstand im Sommer 2013.

Hinweis: Auf failedarchitecture.com ist ein ausführlicher Artikel (in englischer Sprache) von mir über den Spreepark erschienen.


Der Atombunker in Ilbenstadt:
Ein Denkmal der Angst

Am Ortsrand von Ilbenstadt in der Wetterau, 20 Kilometer von Frankfurt am Main entfernt, liegt unscheinbar am Straßenrand ein Relikt aus den Zeiten des Kalten Kriegs: Nur das kleine Eingangshäuschen und der 25 Meter hohe Funkturm sind oberirdisch sichtbar von Hessens einst sicherstem Atombunker, im offiziellen Jargon: "Zivilschutz-Abschnittsführungsstelle Ilbenstadt".

Der 1966 bis 1970 errichtete Untertagebunker sollte im Fall eines atomaren Angriffs auf die Rhein-Main-Region dem Frankfurter Oberbürgermeister mitsamt seinem Stab (Vertreter von Rettungsdiensten, Feuerwehr und Katastrophenschutz) Unterschlupf gewähren. Von dieser Kommandozentrale aus hätte der Führungsstab auf Grundlage der Notstandsgesetze die Regierungsgewalt für die Region übernehmen sollen, vor allem die Koordination des Zivilschutzes für den Großraum Frankfurt. Der Bunker war ausgelegt für rund 90 Personen, die etwa einen Monat völlig autark unter Tage hätten überleben können.

Die Anlage beinhaltet u.a. Arbeits-, Schlaf- und Wirtschaftsräume, getrennte Bäder für Männer und Frauen, Dekontaminierungsduschen, eine Sanitätsstation, einen Lage- und Führungsraum, die Telefonzentrale und ein eigenes Privatgemach für den Frankfurter Oberbürgermeister. Das alles ist in zwölf Metern Tiefe auf drei Stockwerke verteilt; die Außenwand ist 90 Zentimeter dick, die obere Decke besteht aus drei Meter dickem Stahlbeton.

Mit dem Ende des Kalten Kriegs war der Bunker funktionslos geworden. 2001 hat die Kommune Niddatal das Gelände samt Bunker für 10.000 Euro vom Bundesvermögensamt gekauft. Der Verein "Bunker Team Ilbenstadt" kümmert sich seitdem ehrenamtlich um die Erhaltung des Bunkers und bietet Führungen an. Nachdem sich immer wieder Eindringlinge gewaltsam Zutritt verschafft haben und Teile der Einrichtung verwüsteten und demolierten, hat der Verein den Bunker wieder weitgehend funktionstüchtig gemacht. Er stellt nun ein Zeitzeugnis, ein gleichermaßen beeindruckendes und beklemmendes Überbleibsel des Kalten Kriegs dar, und gewährt einen Eindruck dessen, was uns während der Ost-West-Konfrontation glücklicherweise erspart geblieben ist. Dass eine unter tödlichen atomaren Beschuss genommene Region von einem unterirdischen Bunker aus "regiert" werden sollte mutet heutzutage in der Tat wie eine vollkommen absurde Vorstellung an...


Die Oberfinanzdirektion in Frankfurt
Architektur-Ikone der fünfziger Jahre

Die 1954 nach Plänen des Architekten Hans Köhler errichtete Oberfinanzdirektion war bis vor kurzem eines der letzten Baudenkmale der 50er Jahre in Frankfurt am Main. Sie erstreckte sich als 35 Meter hohes, 120 Meter langes elfgeschossiges Hochhausband mit einem vorgelagerten, in kühner Weise leicht schräg gestellten eleganten Pavillon auf Stelzen. Die Fassade des Hochhauses war mit rötlichen Keramikplatten verkleidet, deren Farbton je nach Lichteinfall zwischen Orange, Rot und Violett changierte; sie gliederte sich in 34 Achsen aus quadratischen Kastenfenstern. Da der Baugrund sich als ungünstig für eine Skelettkonstruktion erwies, baute man in Form eines Stahlbetonsilos mit nur 18 Zentimeter dicken Wänden und Decken. Bei dieser Bauweise jedoch durften die Räume und Fenster nicht allzu groß sein.

Seit 2009 stand die Oberfinanzdirektion leer: Nachdem das Gebäude in den 70er Jahren fehlerhaft mit einem giftigen Teerkleber saniert wurde, der tief in das Mauerwerk eingedrungen war, wurde der Aufenthalt in den Innenräumen als stark gesundheitsschädlich eingestuft. Mittlerweile ist die "Frankfurt School of Finance" Besitzerin von dem Grundstück und dem Gebäude. Das eigentlich denkmalgeschützte Ensemble wurde wegen der irreparablen Schadstoffbelastung zum Abriss freigegeben, bis auf den vorgelagerten Pavillon, der nicht kontaminiert ist und erhalten bleiben soll. Die private Hochschule plant einen Neubau auf dem Gelände, der voraussichtlich 2017 bezogen wird. Aus städteplanerischen Motiven sieht der Bebauungsplan vor, dass sich der Nachfolgebau in Länge und Höhe an den alten Baukörper orientieren soll.

Heutzutage gilt die Oberfinanzdirektion als ein herausragendes Symbol der Wiederaufbauzeit - bei zeitgenössischen Architekturkritikern indes fand der Bau wenig Anklang. Er wurde unter anderem beschrieben als "Riegel", der wie eine gigantische "Mauer" wirkt, an dessen Fassade nichts dem Auge Halt und Führung gibt, gleichsam eine "am Fließband gefertigte Baumasse". Mittlerweile sieht man das anders: Ist doch der Bau ein Beispiel für eine funktionale und strukturale Bauweise, die sich trotzdem interessante Details leistet, die bei der heutzutage verbreiteten Investorenarchitektur undenkbar oder zumindest selten wären.

Die Oberfinanzdirektion hätte statt in Frankfurt auch in Brasília oder Chandigarh stehen können, so sehr glich sie den ikonenhaften Scheibenbauten, mit denen Oscar Niemeyer und Le Corbusier in den 50er Jahren der Moderne ihren architektonischen Stempel aufdrückten, stellt der F.A.Z.-Architekturkritiker Dieter Bartetzko fest. Es ist ein Jammer, dass dieser Bau nicht erhalten werden konnte. "Die Lebensdauer selbst der wichtigsten und schönsten Gebäude ist seit 1945 auf die Spanne von dreißig bis vierzig Jahren geschrumpft", resümiert er in demselben Artikel (28.08.2013).


Das Conti-Gelände in Hannover:
Industrieromantik aus Backstein

Das Zweigwerk der Continental AG im Hannoveraner Stadtteil Limmer ist seit 1999 geschlossen. Seitdem ist es ein beliebtes Eldorado für Fotografen und Graffiti-Aktivisten, auch Musikvideos wurden dort schon gedreht. Seit September 2013 wird das Gelände auf Geheiß der Stadt rund um die Uhr von einem Sicherheitsdienst überwacht, weil der Aufenthalt in den Gebäuden aufgrund der teilweise maroden Struktur als lebensgefährlich eingeschätzt wird. Trotzdem tummeln sich an manchen Tagen dutzende von Fotografen, Schaulustigen, Abenteurern und Graffiti-Sprayern auf dem Gelände. Der aus roten Ziegeln errichtete Gebäudekomplex mit seinem maroden Charme übt eben einen eigentümlichen, unwiderstehlichen Reiz aus…

Am Standort in Limmer wurde die Produktion 1899 von der bereits 1862 an anderer Stelle als "Hannoversche Gummi-Kamm-Comp." (später "Hannoversche Gummiwerke Excelsior") gegründeten Gummiwarenfabrik aufgenommen. Gefertigt wurden diverser Hartgummiprodukte wie Modeschmuck und medizinische Artikel, später vor allem Isolationsbauteile für die boomende Telegrafie- und Telefonindustrie. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde die Produktion auf kriegswichtige Güter, neben medizinischen Artikeln vor allem Reifen, ausgerichtet. Nach Kriegsende gab es eine große Nachfrage an Konsumgütern aus Gummiprodukten sowie Reifen, da deren Produktion zuvor kriegsbedingt eingeschränkt war. Das Werk expandierte und errichtete neue Verwaltungs- und Fertigungsgebäude; so auch zwischen 1920 und 1922 die heute noch stehenden neugotisch anmutenden Backsteinbauten am Lindener Kanal. Die Beschäftigtenzahl stieg in jener Zeit auf 6.000 Angestellte.

1928 übernahm das Konkurrenzunternehmen Continental AG die Excelsior-Werke. Das Fertigungsprogramm blieb im Wesentlichen gleich. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Produktion abermals auf kriegswichtige Güter umgestellt, ab 1944 beschäftigte man Zwangsarbeiter aus einem unmittelbar an das Werksgelände angesiedelten Außenlager des KZ Neuengamme.

Da das Werk weitgehend von Bombenangriffen verschont blieb, konnte die Produktion schon kurz nach Kriegsende wieder aufgenommen werden. In der Folgezeit wurde es ausgeweitet und modernisiert, aber aufgrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten (billigere Produktionsbedingungen in Osteuropa) schließlich 1999 geschlossen. Bis 2009 wurden fast alle Gebäude auf dem Gelände abgerissen, bis auf einen denkmalgeschützten Trakt sowie den ebenfalls denkmalgeschützten Schornstein. Das durch die Gummiproduktion kontaminierte Erdreich ist weitläufig abgetragen worden.

Auf dem freigeräumten Gelände – aktuell (Stand Winter 2015) eine riesige Brachfläche – soll nach Plänen der Stadtverwaltung ein neues, modernes Wohnviertel entstehen, die "Wasserstadt Limmer" mit bis zu 600 Wohneinheiten.


Hannovers Ihme-Zentrum -
Gescheiterte Utopie von der "Stadt in der Stadt"

Diesen Ort als einen Lost Place zu bezeichnen verbietet sich eigentlich, wohnen dort doch immer noch rund 2400 Menschen. Trotzdem trifft die Bezeichnung auch wiederum zu, denn weite Teile dieses Gebäudekomplexes im Hannoveraner Stadtteil Linden stehen in einem erbärmlichen Zustand leer; und "verloren", im Sinne von zukunftslos, chancenlos, scheint das Ihme-Zentrum auch zu sein…

Das unter Hannoveranern berüchtigte Ihme-Zentrum ist eine monströse Wohn-, Büro- und Einkaufsmaschine am Ufer des Flusses Ihme. Anfang der 70er Jahre im architektonischen Stil des Brutalismus (von franz. béton brut = Sichtbeton) errichtet, war es als eines von mehreren Zentren konzipiert, mit denen die Innenstadt entlastet werden sollte. Die zugrunde liegende zeittypische Idee war die "Stadt in der Stadt", d.h. in dem Komplex sollten alle für das tägliche Leben notwendigen Einrichtungen vorhanden sein. Von den konzipierten Zentren tatsächlich gebaut wurde nur das Ihme-Zentrum. Von 1972 bis 1975 wurde es in einem Stück hochgezogen, was die Baustelle zu einer der größten in Europa werden ließ. Entstanden ist eine Verkaufsfläche von 60.000 m2 und eine Wohnfläche von 56.000 m2. An den Enden des knapp einen Kilometer langen Gebäudes wird der Bau von 20stöckigen Wohntürmen eingerahmt, dazwischen liegen zwei 5- bzw. 6-stöckige Wohnungsriegel. Eine Ladenpassage durchzieht den gesamten Komplex – in der Mitte für kleinere Geschäfte, an den Enden für größere, mehrstöckige Ankermieter –, unterkellert ist er mit einer gigantischen 2-stöckigen Tiefgarage.

Das Ihme-Zentrum hatte von Anfang an mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen. Es ist architektonisch wenig einladend, eher trutzburghaft abweisend, verwinkelt und unübersichtlich. Zudem befindet es sich sozusagen in einer Art Insellage: Die eine Längsseite grenzt direkt an den Fluss, die andere Gebäudeseite liegt eine Ebene über Straßenniveau und ist nur an wenigen Stellen über Treppen und Aufgänge erreichbar; die Straßenebene dient lediglich der Anlieferung und Bewirtschaftung.

Bereits seit Mitte der 1990er Jahre existierte durch viele Geschäftsaufgaben ein Leerstand. Nachdem 2004 der letzte große Ankermieter (die Elektrohandelskette Saturn) auszog, fehlte ein Kundenmagnet, was den endgültigen Todesstoß bedeutete. Zur Zeit (Stand August 2016) sind die einzigen relevanten Mieter die Stadtwerke Hannover und einige Ämter der Stadtverwaltung.

Aktuell präsentieren sich weite Teile der Ladenpassage als Bauruine: 2006 wurde von dem US-amerikanischen Investor Carlyle Group eine grundlegende Sanierung begonnen, die einige der architektonischen Probleme entschärfen sollte. Geplant war die Erneuerung der Ladenpassage als "Linden-Park" in Form einer modernen Shoppingmall, lichtdurchflutet, mit viel Glas und hochwertigen Baumaterialien. Aufgrund der allgemeinen Finanzkrise kamen die Bauarbeiten jedoch ins Stocken, als die Carlyle Group in die Insolvenz ging. Seit 2009 ruhen sämtliche Baumaßnahmen, die Eigentumsanteile des Investors werden durch einen Zwangsverwalter verwaltet. Wie es mit dem Ihme-Zentrum weitergehen soll, ist ungewiss, der Komplex ist nach dem gescheiterten Revitalisierungsprojekt zu einem der größten Sanierungsfälle in Niedersachsen geworden. Wenn kein neuer Investor gefunden wird, steht die Zwangsversteigerung an. Ein Abriss verbietet sich wohl wegen der Eigentumsverhältnisse, sind doch der Großteil der 800 Wohnungen Eigentumswohnungen. So oder so – wohl endgültig zu Ende ist der verfehlte Traum vom verdichteten stadtkernnahen Wohnen und Arbeiten an einem Ort...

Nach den eingestellten Bauarbeiten gleicht das Ihme-Zentrum noch mehr einer Geisterstadt aus einer dystopischen Endzeitvision als je zuvor. Zwischen den hochaufragenden Wohntürmen spannt sich ein geheimnisvoll unübersichtliches Geflecht aus Aufstiegen, Durchgängen und Überbrückungen, allerorten klaffen riesige Wunden von eingerissenen Geschossdecken und Wänden, aus denen verbogene, rostige Eisenstränge und blanke Stahlträger herausragen. Ein fast surreal anmutendes Bild...

(Siehe auch das 360°-Panorama von der Tiefgarage)


Das Haus der Offiziere -
Unterwegs in der Militärstadt Wünsdorf

Und wieder hat die wechselhafte deutsche Geschichte einen Lost Place hinterlassen: Nach dem Besuch der FDJ-Hochschule in Bogensee (siehe oben), nordöstlich von Berlin, ging es ein paar Wochen später, im Mai 2013, mit go2know nach Wünsdorf, etwa 40 Kilometer südlich der Berliner Stadtgrenze. Die Stadt hat eine jahrzehntealte Vergangenheit als Militärstandort.

Schon unter Wilhelm II. wurde in Wünsdorf ab 1910 ein großer Truppenübungsplatz samt dazugehörender Kasernenanlage eingerichtet. In der Weimarer Republik war dort eine Garnison der Reichswehr stationiert. Seit 1933 hatte sich die Kasernenfläche auf mehr als 175 Hektar mit 150 Gebäuden ausgeweitet. Im "Dritten Reich" war in Wünsdorf das Oberkommando des Heeres und gegen Kriegsende das der Wehrmacht untergebracht. Ab 1937 entstanden dort unterirdische Bauten für die Heeresführung (schon 1932 hatte die Reichsregierung den Standort Wünsdorf als Ausweichquartier für die Reichswehrführung im Falle eines Krieges bestimmt). Wünsdorf wurde zudem zum wichtigsten Nachrichtenzentrum des "Dritten Reichs" ausgebaut.

Am 20. April 1945 erfolgte der Einmarsch sowjetischer Truppen. Der militärische Führungsstab des sowjetischen Marschalls Schukow nahm sein Quartier in Wünsdorf. 1951 haben die Sowjets dort den Sitz des Oberkommandos der nach dem Krieg in der DDR stationierten Truppen, der sog. "Westgruppe", eingerichtet. Sie haben das militärische Areal durch die Beschlagnahme von Grund und Gebäuden auf rund 590 Hektar erheblich erweitert. Wünsdorf stellte ein weitgehend autonomes Gebilde dar, mit Wohnhäusern, Kasernen, Kaufhäusern, Restaurants, Sportanlagen, Friedhöfen, Kultureinrichtungen und einer täglichen Eisenbahnverbindung nach Moskau. In diesem "Militärstädtchen" lebten zwischenzeitlich fast 40.000 Russen – Soldaten, Offiziere und Verwaltungspersonal mitsamt ihren Familien. Es war der größte sowjetische Militärstandort außerhalb der UdSSR. Für die Bürger der DDR war das Areal Sperrgebiet, eine verbotene Stadt, im Volksmund "Klein Moskau" genannt.

Nach dem Fall der Mauer zogen die sowjetischen Truppen aus dem wiedervereinigten Deutschland ab. Nachdem der letzte Soldat 1994 Wünsdorf verlassen hatte, endete die fast 100jährige Geschichte als Militärstandort. Das Areal wurde zum größten Konversionsprojekt für das Land Brandenburg. Man erarbeitete ein Konzept zur Stadtentwicklung: Auf dem Gelände sollte ein lebendiger Stadtteil entstehen. Die ehemaligen Kasernen wurden zum Großteil saniert und zu Wohnhäusern umgebaut, auch ein Teil der Landesverwaltung wurde dorthin umgesiedelt. Doch trotz aller Bemühungen, ein attraktives Umfeld für großstadtmüde Berliner zu erschaffen, ist die Konversion bis heute nicht erfolgreich abgeschlossen. Der Leerstand liegt bei 40 Prozent, hübsch renovierte Wohnhäuser grenzen an abbruchreife graue Kasernen. Nach wie vor ist der Ort kein sonderlich begehrter Wohnbezirk, da vor allem die Infrastruktur als höchst unzureichend empfunden wird...

Noch unsaniert und im Verfall begriffen (wenn auch, da umzäunt und bewacht, vor Vandalismus verschont) ist das sog. "Haus der Offiziere", ein schlossartiger, prächtiger Bau aus der Kaiserzeit. Dort befand sich die einstige Kaiserliche Militärturnanstalt, die von 1919 bis 1943 in die Heeressportschule zur Ausbildung von Unteroffizieren überging. Links und rechts vom Hauptgebäude liegen weitere Seitenflügel der ehemaligen Heeressportschule. Insgesamt waren damals in den Gebäuden verschiedene Sport- und Turnhallen, unter anderem ein Fechtsaal, eine Schwimmhalle und eine Reithalle, untergebracht. Die Militärsportanlagen wurden im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 für das Training der deutschen Mannschaft genutzt. Die Sowjets funktionierten das Gebäudeensemble zum "Haus der Offiziere" um; eine gewaltige Lenin-Statue grüßt noch heute trotzig jeden Besucher. Das Areal wurde zu einem Kultur- und Vergnügungsmittelpunkt des Standorts umgebaut: Außer der Schwimmhalle blieb praktisch nichts von der einstigen Nutzung erhalten, aus den großen Turnhallen machte man Konzert- und Theatersäle.

Sowohl das "Haus der Offiziere" wie die umliegenden Gebäude haben bisher noch keine Verwendung gefunden. Betritt man sie heute, so scheint dort die Zeit stehen geblieben zu sein...


Beelitz Heilstätten -
Der "Zauberberg" Brandenburgs

In Beelitz, rund 20 Kilometer südwestlich von Berlin, liegt in einem ausgedehnten Waldgebiet einer der größten verlassenen Krankenhauskomplexe Deutschlands. 60 Gebäude auf 200 Hektar mit mehr als 1000 Betten Kapazität. Die berühmten "Beelitz Heilstätten" waren Ziel zweier von go2know veranstalteter Fototouren im Oktober 2013 und Juni 2014.

Die Heilstätten waren als Sanatorium für tuberkulosekranke und "nervenschwache" Arbeiter aus den Fabriken und Mietskasernen Berlins gegründet worden. Tuberkulose war die Volkskrankheit an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Aber nicht nur die Armen aus den Arbeitervierteln mit feuchten Mietskasernen und dunklen Hinterhöfen waren betroffen, auch die "Kameliendame" von Alexandre Dumas und die reichen Patienten von Thomas Manns "Zauberberg" zählten zu den Opfern. Gegen die Tuberkulose gab es keine wirksamen Medikamente; Heilung versprach vor allem viel frische Luft, Ruhe und gesundes Essen. Die Beelitz Heilstätten wurden entsprechend nach den neuesten Erkenntnissen der Heilkunde konzipiert: durch lange Rohre saugte man saubere Luft aus dem umgebenden Wald an, die direkt in die Krankenzimmer geblasen wurde. Ausgestattet mit zentralen Heizungssystemen, modernen Küchen, Wäschereien, Badehäusern und Speisesälen wiesen die Heilstätten eine großzügige, beinahe luxuriöse Gestaltung auf, die nichts mit der kalten Effektivität moderner Bettenburgen gemein hat.

Die Heilstätten wurden in mehreren Bauabschnitten fertig gestellt; der erste entstand 1902, nachdem die Landesversicherungsanstalt Berlin ein paar Jahre zuvor den Bau eines riesigen Komplexes von vier Hauptgebäuden – zwei Lungenheilstätten und zwei Sanatorien, jeweils strikt getrennt nach Geschlechtern – beschlossen hatte. Die Architekten Heino Schmieden, Julius Boethke und Fritz Schulz kombinierten Landhausstil mit monumentalen Natursteinfassaden (später kamen expressionistische Baustile hinzu). Der ganze Komplex war angelegt wie ein vierblättriges Kleeblatt, geteilt durch Bahnstrecken bzw. eine Autostraße. Entstanden ist eine kleine Stadt mit eigenem Bahnhof und eigenem Heizkraftwerk, die in zwei weiteren Bauphasen (1905-08 und 1926-30) noch erweitert und vergrößert wurde.

Ab 1914 unterbrach man den Sanatoriumsbetrieb kriegsbedingt, und die Heilstätten wurden als Lazarett genutzt, in dem zeitweise bis zu 12.500 Soldaten gepflegt wurden. Im Zweiten Weltkrieg erneut als Lazarett genutzt, dienten die Heilstätten nach dem Einmarsch der Roten Armee 1945 als Militärhospital für die sog. Westgruppe der Sowjetarmee. Dies war damit das größte Militärhospital der Sowjetunion außerhalb des eigenen Territoriums.

Das gesamte Areal blieb militärisches Sperrgebiet bis zum Abzug der Roten Armee 1994 (einige Jahre davor, 1991, diente es für kurze Zeit dem gestürzten und obdachlosen Erich Honecker als temporärer Unterschlupf). Seitdem liegt das Gelände brach. Aufgrund der Nutzung durch die Rote Armee blieben die Bauten in all den Jahrzehnten von Abriss sowie Modernisierung verschont, jedoch befinden sie sich in einem Stadium des fortschreitenden Verfalls, nachdem die Sanierung der Denkmalsubstanz weitgehend eingestellt wurde. Auch der Vandalismus, der viele Lost Places befällt, hinterlässt zusehends seine Spuren.

Eine Nachnutzung des Komplexes war lange Zeit ungeklärt; Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen stehen einer Reaktivierung als Klinik jedenfalls unumgänglich im Wege. Nach neuesten Plänen soll dort nun ein Wohn- und Arbeitsort für Kreative entstehen, das sog. "Creative-Village" des Projektentwicklers Frank Duske. Geplant sind 50 Wohn- und Arbeitseinheiten mit einem Kaufpreis je nach Größe ab 100.000 Euro.

Bis dahin dienen die Gebäude weiterhin als beliebte Fotolocation und Kulisse für Film- und Fernsehproduktionen. Unter anderem Roman Polanskis "Der Pianist" und Tom Cruises "Operation Walküre" wurden hier in Teilen gedreht.

Dieser verwunschene Ort, dessen Gebäude wie Märchenschlösser wirken mit ihren Giebeln, Türmchen und Fachwerkfassaden, lädt geradezu dazu ein, sich kreativ mit ihm zu beschäftigen. Er versprüht Beklemmung und Faszination zugleich...